Respekt vor einer solchen "Leistung" oder Anonymität im Internet, Teil I

Ich hab ja aber auch wirklich sowas von keine Ahnung ...

Da schau ich vor ein paar Tagen mal wieder meinen SPAM-Ordner durch, der ja in den heutigen Zeiten leider unumgänglich ist, und stoße zwischen den Kaufaufforderungen für Aktien, Penisverlängerungsangeboten und neuer Software auf eine Email mit hoher Priorität und dem Absender
"NAD218THX@gmx.net, Betreff: deine www seite".

Hmm, dachte ich mir, da hat mal jemand Neues deine Seiten durchgelesen, offensichtlich selbst Besitzer einer
NAD 218 THX Endstufe. Die hatte ich mal vor langer Zeit, als sie noch aktuell war. Schau ich doch mal rein, vielleicht hat der oder diejenige Anregungen, Fragen, Probleme oder Kritik. Was ich dann las, verschlug mir dann doch erstmal die Sprache:

Keine Anrede - gut, daran bin ich gewöhnt.
Weitestgehend alles klein geschrieben - auch darüber kann man in den Zeiten weitverbreiteter Legasthenie durchaus hinwegsehen.
Aber der Tonfall? Und die Art und Weise? Und dann noch nicht einmal die Cochones haben, sich auch mit einem echten Absender zu verabschieden? Ebenso die "Aussagen", aber die wollen wir doch mal gemeinsam analysieren. Der Einfachheit halber habe ich die Zeilen Seiner Allwissenheit rot markiert, damit meine verbalen Flatulenzen nicht damit vermischt werden ;-)

Vielleicht hilfts auf den richtigen weg......???

Damit wäre schonmal geklärt, dass der Absender (ich vermute intuitiv dahinter einen männlichen Internetuser) von Interpunktion, Grammatik und Satzbau keine Ahnung hat, dafür aber seine Ausdrücke betont wissen möchte. Nicht nur das Versenden mit hoher Priorität, nein, wie so oft findet man die quasi schon obligaten Mehrfachpunkte und Mehrfachfragezeichen, damit der geneigte Leser auch in jedem Fall das Unverständnis des Schreibers mitbekommt - mit dem Holzhammer sozusagen.

hab auf deiner möchte gern www seite deinen text gelesen.

Aha, geht doch, da ist schonmal nur noch ein Punkt und sogar an der richtigen Stelle.
Aber was ist eine www Seite? Ich persönlich nenne das "Homepage", aber wer bin ICH schon. Letztlich geht daraus hervor, dass er meinen Text gelesen hat. Soso. Welchen, darüber schweigt er sich leider aus. Da die Homepage mittlerweile mehr als 40 Unterseiten mit teils erheblichem Umfang aufweist und sich schon zu diesem Zeitpunkt eine deutliche Frustration seinerseits ob der Inhalte ankündigt, kann ich mir kaum vorstellen, dass von ihm alle Texte gelesen wurden. Das deutet doch schon ein klein wenig auf einen leicht überheblichen Absender hin, also pauschal erstmal zu erklären, er habe meinen Text gelesen - also alles.

Abgesehen davon, man schreibt in diesem Zusammenhang "möchtegern" zusammen, denn ich vermute dahinter die Aussage, dass ich in seinen Augen anscheinend ein Gernegroß bin - das aber nur am Rande, ich will nicht noch weiter grammatikalische Verfehlungen richten.

der ist genauso verschachtelt und nach dem motto, "ich will und kann nicht", wie die anlage!

Ooooooooooh, grooooooooße Überaschung! Wer hätte DAS gedacht? Ich war bis zu dieser Email der Meinung, genügend auf die mir eigene Schreibweise hingewiesen zu haben. Wo? Na in der ultimativen Präambel, die sogar einen eigenen Link auf der Index-Seite hat. Vielleicht muss ich noch Hinweisschilder aufstellen. Und ich will aber kann nicht? Was will ich und kann ich nicht? Ich wollte verschachtelte Sätze schreiben und das habe ich auch getan. Da sehe ich also zunächst einmal kein Problem. Und ich habe die einzelnen Komponenten so zusammengestellt, wie ICH es für richtig erachtet habe. Aber was weiß ICH schon? Ich werde im Folgenden ja vermutlich endlich aufgeklärt, was ich alles NICHT weiß.

das einzige, wozu´s vielleicht hilft,ist, das du deine zusammengewürfelte HiVieh anlage mit deinem text,in die Hüttenstereo kiste schmeißt!

OK, und JETZT habe ich tatsächlich ein Problem. Was hilft wann wo und wem? Immerhin ist er bis zu meinem Satz mit dem Hüttenstereo gelangt. Das spricht für des Absenders Durchhaltevermögen, Leidensfähigkeit (schließlich wurde von ihm im vorhergehenden Satz ja bereits erklärt, wie zuwider ihm verschachtelte Sätze sind) und dessen latentes Erinnerungsvermögen. Wie und vorallem warum ich meine sogenannte HiVieh anlage in die Kiste schmeißen soll - diese Antwort bleibt er an dieser Stelle schuldig. Schade. Ich habe so viele schöne ungenutzte Kartons vom Umzug im Keller.

hättest du doch lieber noch ein bißchen gespart.aber geld und nicht wie jetzt, an der anlage!

Aha, nun die Lösung meiner Probleme. Generös und selbstlos wird mir anschließend nun doch die Lösung präsentiert. Mir armem, unwissendem Wicht wird nun endlich Erleuchtung zuteil. All meine vorgegebene Erfahrung schonungslos aufgedeckt, mein vorgetäuschtes Wissen widerlegt, das Nichtvorhandensein jeglicher Musikalität in die Welt hinausposaunt.

na ja. wenn du mal groß bist kommst du vielleicht mal zu einer richtigen HiFi anlage.

Und die wäre? Los, teile dich mir mit. Ich brenne darauf, meine HiVieh anlage endlich fachgerecht zu entsorgen und sie der Wiederverwertung zuzuführen, damit ich mich und meine Familie nicht länger mit abscheulichen Klängen quälen muss.

jeder fängt mal klein an. das hier sieht ganz nach rudi´s reste rampe aus. hiiiilfe. was´n schrott.

Yepp, da kann ich nur zustimmen, ich bin auch klein angefangen und anscheinend nicht weit gekommen. Aber noch ist die Mail nicht zuende und ich hoffe immer noch auf Lösungsvorschläge, fachgerechte Kritik oder wenigstens eine mit Argumenten untermauerte Aussage.

streng dich an

Um WAS zu tun? Ich weiß es nicht. Denn leider bleibt der unbekannte Absender auch diese Aussage schuldig. Also hat nicht nur er seine Zeit verschwendet, in dem er mir eine vollkommen sinnfreie Email hat zukommen lassen sondern letzlich auch noch mir wertvolle Zeit geraubt, indem ich mir diese geistigen Diarhoe durchgelesen habe.

Naja, fast. Schließlich ist er ein handfester Beweis dafür, das SPAM-Mails noch lange nicht nur von hirnlosen Mailprogrammen verschickt werden. Wie einfach es doch ist, Behauptungen aufzustellen und gleichzeitig die Beweise oder wenigstens die Verbesserungsvorschläge für sich zu behalten. Andererseits kann man dann auch mit gefährlichem Halbwissen leuchten, denn es gibt ja niemanden, der die Behauptungen wiederlegen kann, da keine aufgestellt wurden.

Bleibt schlussendlich die Überlegung, welche Intention der Schreiberling verfolgt haben könnte:

Die Weitergabe von Wissen kann es nicht sein, das haben wir eindeutig feststellen können.
Die Profilierung über eine Endstufe (die NAD 218 THX), die Mitte der 90er mal aktuell war? Möglich, aber so wenig Selbstvertrauen kann man doch eigentlich nicht haben, oder? Andererseits gibt es viele Menschen auf diesem Planeten, die ihren ureigenen Götzen in ihrer Emailadresse verewigen. Dann ist man unerkannt (so glaubt man wenigstens), hat aber gleichzeitig der Welt schonmal gezeigt, wes Geistes Kind man ist - in mehrfacher Hinsicht.

Oder vielleicht einfach mal anderen auf den Geist gehen und nerven, nölen und zeigen, wie armselig das eigene Leben im Vergleich zu dem des angegriffenen ist? Puh, dass würde aufwendige Selbstreflektion vorraussetzen. Da der Schreiberling nicht einmal die eigene Anlage in Relation zu meiner setzt, damit eine Vergleichsmöglichkeit geschaffen ist, wage ich auch das zu bezweifeln.

Vielleicht ist es aber auch nur einfach so, dass der Schreiberling irgendetwas kompensieren musste. Vielleicht tatsächlich das, was einem Freund von mir zu dieser Email einfiel:

"Ein zu kleines Geschlechtsteil?" ;-)

 

Anonymität im Internet, Teil II - Die Geschichte geht weiter.

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